Was passiert wenn man Jurilo eine mega lange Frage stellt die auch kompliziert ist?

Auch wenn Ihr eine sehr lange Frage stellt, liefert Jurilo in den meisten Fällen trotzdem eine korrekte und klar strukturierte Antwort.
Wir empfehlen jedoch, es Jurilo nicht unnötig schwer zu machen und komplexe Anliegen lieber in mehrere kürzere Fragen zu unterteilen.
Da Ihr ohnehin unbegrenzt viele Fragen stellen könnt, entstehen dadurch keine zusätzlichen Kosten.
Frage an Jurilo von einem Anwalt der es "wissen" wollte was Jurilo echt weiss:
Die Krankentaggeldversicherung verweigert die Leistungserbringung für einen Arbeitnehmer, dem gekündigt wurde, der freigestellt wurde und dann erkrankte. Die Krankentaggeldversicherung argumentiert wie folgt (dabei ist die Versicherungsnehmerin die Arbeitgeberin, welche wir beraten): Unserer Haltung liegt das Bundesgerichtsurteil 4A_151/2021 vom 09.09.2021 zu Grunde, welches somit nicht eine Einzelansicht der XYZ darstellt, sondern ein letztinstanzlicher Entscheid, woran sich die gesamte Schweizerische Versicherungsbranche orientieren kann. Am 11.04.2025 kündigte unsere Versicherungsnehmerin (fortan: VN) das Arbeitsverhältnis mit dem Versicherten per 31.07.2025. Gleichzeitig stellte sie ihn per sofort frei (Verzicht auf Arbeitsleistung). Am 14.04.2025 meldete sich der Versicherte krank und machte eine Arbeitsunfähigkeit geltend. Bei der Krankentaggeldversicherung handelt es sich um eine Schadenversicherung. Es muss ein tatsächlich entstandener und konkret nachweisbarer Schaden vorliegen (Art. 1 ZB KTG, Ausgabe 09.2021). Im vorliegenden Fall liegt jedoch kein Schaden vor. Unsere VN hat bereits auf die Arbeitsleistung des Versicherten bis 31.07.2025 verzichtet. Dieser Sachverhalt ist gleich, wie derjenige, welcher dem Bundesgerichtsurteil 4A_151/2021 vom 09.09.2021 zu Grunde lag. Sowohl das kantonale Gericht als auch das Bundesgericht haben entschieden, dass der Versicherungsnehmerin kein Schaden entstand für die Zeitdauer der Arbeitsunfähigkeit während der Freistellung. Erst nach dem Ende der Freistellung konnte – bei weiterem Andauern der Arbeitsunfähigkeit – ein Schaden entstehen. Wir haben Ihnen auch bereits zugesichert, eine über den 31.07.2025 hinausgehende, bewiesene Arbeitsunfähigkeit zu vergüten (vgl. unsere Mail vom 21.07.2025). Da kein Schaden vorliegt, besteht unsererseits während der ursprünglichen Kündigungsfrist, d.h. bis 31.07.2025, keine Leistungspflicht. Was kann die Arbeitgeberin hier entgegen halten (Ziel ist, dass Krankentaggelder geleistet werden)
Antwort von Jurilo:
Die Argumentation der Krankentaggeldversicherung stützt sich auf das Prinzip der Schadenversicherung und auf das Bundesgerichtsurteil 4A_151/2021. Dennoch bestehen aus arbeitsrechtlicher Sicht und unter Berücksichtigung der vertraglichen Struktur einer Kollektiv-Krankentaggeldversicherung mehrere Ansatzpunkte, mit denen die Arbeitgeberin der Leistungsverweigerung entgegentreten kann.
1. Direkter Anspruch des Arbeitnehmers aus Kollektivversicherung
Gemäss Art. 87 VVG und Art. 112 Abs. 2 OR hat der versicherte Arbeitnehmer bei einer Kollektiv-Krankentaggeldversicherung grundsätzlich einen eigenen Anspruch gegenüber dem Versicherer, auch wenn der Versicherungsvertrag auf die Arbeitgeberin lautet. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Versicherung eine Leistung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit vorsieht und der Versicherungsfall während der Vertragsdauer eintritt.
2. Versicherungsfall ist eingetreten – Krankheit während Freistellung
Die Freistellung des Arbeitnehmers bedeutet nicht, dass keine Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Versicherung vorliegen kann. Entscheidend ist, ob der Versicherungsfall (krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit) während der Versicherungsdeckung eingetreten ist. Dies ist hier der Fall: Die Krankheit wurde am 14.04.2025 gemeldet, also während des laufenden Arbeitsverhältnisses und der Versicherungsdeckung.
Die Freistellung ändert nichts daran, dass der Arbeitnehmer weiterhin dem arbeitsvertraglichen Weisungsrecht untersteht und grundsätzlich zur Arbeitsleistung verpflichtet wäre – auch wenn der Arbeitgeber auf diese verzichtet. Die Arbeitsunfähigkeit ist daher nicht rein hypothetisch, sondern real, da der Arbeitnehmer ohne Krankheit zur Arbeitsleistung verpflichtet gewesen wäre.
3. Gleichwertigkeit der Versicherungslösung und Lohnfortzahlungspflicht
Die Arbeitgeberin kann sich auf Art. 324a Abs. 4 OR berufen, wonach sie von der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht befreit ist, wenn eine gleichwertige Versicherungslösung besteht. Diese Gleichwertigkeit setzt voraus, dass der Arbeitnehmer im Krankheitsfall eine Leistung erhält, die mindestens 80 % des Lohnausfalls deckt. Wird die Leistung verweigert, obwohl die Voraussetzungen erfüllt sind, droht der Arbeitgeberin eine subsidiäre Lohnfortzahlungspflicht gemäss Art. 324a Abs. 1-3 OR.
Daher hat die Arbeitgeberin ein eigenes Interesse daran, dass die Versicherung leistet, um nicht selbst in die Pflicht genommen zu werden.
4. Zweck der Krankentaggeldversicherung – Schutz des Arbeitnehmers
Die Krankentaggeldversicherung dient dem Schutz des Arbeitnehmers vor Lohnausfall infolge Krankheit. Die Argumentation der Versicherung, es liege kein Schaden vor, weil der Arbeitgeber auf die Arbeitsleistung verzichtet habe, verkennt den Zweck der Versicherung. Der Schaden liegt nicht nur im wirtschaftlichen Nachteil des Arbeitgebers, sondern auch im Erwerbsausfall des Arbeitnehmers, der durch die Versicherung gedeckt werden soll.
5. Vertragliche Ausgestaltung prüfen
Es ist zu prüfen, ob die Versicherungsbedingungen (AVB) eine Leistungspflicht auch während der Freistellung ausdrücklich ausschliessen. Falls dies nicht der Fall ist, kann die Arbeitgeberin argumentieren, dass die Versicherungsdeckung auch während der Freistellung besteht, solange das Arbeitsverhältnis andauert.
6. Unterschied zum Urteil 4A_151/2021
Im Urteil 4A_151/2021 wurde die Leistungspflicht der Versicherung verneint, weil der Arbeitgeber keinen wirtschaftlichen Schaden erlitt. Dieses Urteil betraf jedoch eine Konstellation, in der die Versicherung als reine Schadenversicherung ausgestaltet war und der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer auftrat. Wenn im vorliegenden Fall der Arbeitnehmer einen direkten Anspruch hat (z. B. durch Abtretung oder vertragliche Regelung), ist die Situation rechtlich anders zu beurteilen.
Fazit und Empfehlung:
Die Arbeitgeberin kann der Leistungsverweigerung der Krankentaggeldversicherung wie folgt entgegentreten:
- Hinweis auf den direkten Anspruch des Arbeitnehmers gemäss Art. 87 VVG und Art. 112 Abs. 2 OR.
- Argumentation, dass die Arbeitsunfähigkeit während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses eingetreten ist, und somit ein versicherter Schaden vorliegt.
- Verweis auf die Gleichwertigkeit der Versicherungslösung und die daraus resultierende Erwartung, dass die Versicherung leistet, um die Arbeitgeberin von der Lohnfortzahlungspflicht zu entlasten.
- Prüfung der AVB, ob eine Freistellung explizit als Ausschlussgrund genannt ist – falls nicht, besteht eine Leistungspflicht.
- Unterscheidung zum Urteil 4A_151/2021, da dort die Konstellation anders war (kein direkter Anspruch des Arbeitnehmers, reine Schadenversicherung zugunsten des Arbeitgebers).
Die Arbeitgeberin sollte die Versicherung auffordern, ihre Leistungsverweigerung unter Berücksichtigung dieser Punkte nochmals zu überprüfen und andernfalls eine schriftliche, begründete Ablehnung unter Angabe der relevanten AVB-Bestimmungen zu liefern. Gegebenenfalls kann auch eine rechtliche Klärung durch ein Gericht in Betracht gezogen werden.
Quellen:
- Art. 324a Abs. 1-4 OR
- Art. 87 VVG
- Art. 112 Abs. 2 OR